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Roth stellt Eckpunkte für Reform der Filmförderung vor

Thema: Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung

Mittwoch, 15. Februar 2023

Die Filmbranche in Deutschland befindet sich in einem großen Umbruch. Das gegenwärtige System der Filmförderung passe immer weniger zu den sich grundlegend verändernden Rahmenbedingungen, konstatiert Kulturstaatsministerin Roth in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung –und präsentiert Eckpunkte für eine Reform der Filmförderung.

Kulturstaatsministerin Roth an ihrem Schreibtisch im Kanzleramt

Kulturstaatsministerin Roth: Wir wollen Filmförderung effizienter aufstellen.

Neun Oscar-Nominierungen, darunter in der Kategorie „Bester Film“ und „Bester Internationaler Film“, 14 Nominierungen für den britischen Filmpreis Bafta: „Im Westen nichts Neues“ bricht schon jetzt Rekorde. Das ist auch politisch ein wichtiges Signal, thematisiert diese Neuverfilmung des Romans von Erich Maria Remarque doch in eindrücklicher Form die Grausamkeit eines Krieges mitten in Europa sowie den menschenverachtenden Zynismus von Kriegstreibern – wie wir es gegenwärtig mit Putin erleben müssen.

Dieser Erfolg des deutschen Films sollte ein Grund zur Freude sein. Das ist er auch, aber nicht nur. Denn er zeigt wie im Brennglas einen tiefgreifenden Wandel des Filmschaffens: „Im Westen nichts Neues“ ist eine Produktion der Streaming-Plattform Netflix. Wenn ich meine echte Freude über den Erfolg dieses Filmes zeige, werde ich mit der Frage konfrontiert: Warum bringt unser gut ausgestattetes deutsches Fördersystem nicht einen solchen Erfolg hervor? 

Wir sollten dabei aber auch selbstbewusst sein: Vier von fünf deutschen Filmen im Wettbewerb der Berlinale und rund die Hälfte aller Filme in der Vorauswahl des deutschen Filmpreises sind von meiner Behörde gefördert worden. Aber das Umfeld für das Entwickeln und Realisieren wie Erleben von Filmen verändert sich drastisch. Streaming und globale Internetanbieter haben aus dem Kinofilm als der Form filmischen Erzählens eine von vielen Formen gemacht, die immer unabhängiger von Fernsehprogrammen und Kinostarts werden.

Bereits als Folge der Pandemie sind Kinobesuche stark zurückgegangen. Hinzu kommt: Das Verhältnis von filmischem Angebot und Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer ist nicht gut, zu viele Filme werden von zu wenig Menschen gesehen.

Dabei ist die Ausgangssituation alles andere als schlecht. Die deutsche Filmförderung, Bund und Länder gemeinsam, verteilen insgesamt fast 600 Millionen Euro Fördermittel im Jahr – so viel wie noch nie. Einen Teil davon erwirtschaftet die Branche selbst durch ein Abgabesystem. Ein anderer, weitaus größerer Teil wird aus den öffentlichen Haushalten zur Verfügung gestellt.

Das gegenwärtige System der Filmförderung passt immer weniger zu den sich grundlegend verändernden Rahmenbedingungen, das Fördersystem ist mit all seinen Richtlinien und Stellschräubchen zu komplex und damit zu langsam geworden.

Ziel einer Reform der Filmförderung ist es deshalb auch, sie effizienter aufzustellen. Um das große kreative Potenzial deutscher Filmemacherinnen und Filmemacher noch besser zu heben, um künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreiche Filme zu ermöglichen. Um damit auch den Filmstandort Deutschland zu stärken.

Ausdrücklich soll dabei nicht etwa die Kultur der Wirtschaftlichkeit untergeordnet werden. Ganz im Gegenteil. Filme, die neue Erzählformen und Perspektivenwechsel ermöglichen, die neue Mittel verwenden und künstlerisch besonders wertvoll sind, sind ein wichtiger kultureller Beitrag – der aber noch mehr Publikum finden kann. Und schließlich braucht es eine Reform, die auch den Veränderungen in unserer Gesellschaft Rechnung trägt. Deshalb muss sie Schlüsselthemen wie die Realität der Diversität unserer Einwanderungsgesellschaft und Geschlechtergerechtigkeit in den Blick nehmen und das Thema Nachhaltigkeit viel stärker berücksichtigen.

Für eine Reform der Filmförderung schlage ich deshalb folgende Eckpunkte vor:

Erstens: Die Entwicklungsförderung soll modernisiert werden. Wir wollen damit Innovationsgeist und Risikobereitschaft stärken. Die bisherige Ausgestaltung der Förderung belohnt das Fortführen wenig erfolgversprechender Projekte eher, als dass sie ein Scheitern auch einmal als Chance begreift. Wir wollen eine zeitgemäße Entwicklungs- und Produktionsförderung für kreativen Content über die unterschiedlichen filmischen Formen hinweg ermöglichen.

Zweitens: Dokumentar-, Kurz-, Nachwuchs- und der künstlerische Film brauchen ihre eigene passgenaue Förderung. Diese Filme müssen nicht an der Marktlogik ausgerichtet sein. Sie sollen neue Formen filmischen Erzählens ermöglichen, sie sollen dokumentieren und experimentieren und uns sehen lehren. Und wenn sie dann auch international und an der Kasse Erfolg haben, umso besser. Diese Filmformen sollen zusätzlich eine eigene, selektive Förderlogik und Jury bekommen.

Drittens: Wir wollen eine bessere Anreizförderung für den Film. Die automatische Förderung hat sowohl den Erfolg als auch den Standort im Blick. Die sogenannte Referenzförderung belohnt vor allem den Erfolg bereits ausgewerteter Filme, wirtschaftlich wie künstlerisch. Die Standortförderung bietet einen Anreiz für die Produktion in Deutschland, hiermit soll vor allem die lokale Filmwirtschaft unterstützt werden. Wir wollen diese beiden automatischen Fördermodelle so weiterentwickeln, dass mehr Planungssicherheit für die Produzierenden geschaffen werden kann und Erfolg früher belohnt wird. Ausdrücklich befürworte ich dabei auch die sorgfältige Evaluierung des sogenannten österreichischen Modells, das keine Deckelung des Fördertopfes mehr vorsieht. Ein anderes Instrument wäre eine Steueranreizförderung für die deutsche und internationale Film- und Serienproduktion, die Steuergutschriften ermöglicht. Eine verbesserte Anreizförderung sollte die unabhängigen Produktionsfirmen unterstützen. Die Stärkung ihrer Rechtebasis, also das Behalten der Verwertungsrechte an den von ihnen produzierten Filmen und Serien sowie der Aufbau eines Rechteportfolios sind wichtig, um nachhaltig mit Erfolg produzieren zu können. Mit einer besseren Förderung einher geht auch eine höhere Verantwortung. Verwerter, insbesondere die internationalen Streaming-Anbieter, sollten einen stärkeren Beitrag leisten zum Gesamterfolg des Fördersystems. Deswegen wollen wir die Einführung einer Investitionsverpflichtung prüfen, die zum Beispiel Streamingplattformen dazu verpflichtet, einen bestimmten Teil ihres Umsatzes mit audiovisuellen Inhalten in Deutschland wieder hierzulande zu reinvestieren.

Viertens: Wir wollen die FFA mit der Branche weiterentwickeln zu einer Filmagentur, die alle filmpolitischen Aufgaben der Bundesförderungen gebündelt übernehmen kann. Dazu gehört auch, dass wir über bessere und mehr Daten über Förderung und Verwertung verfügen. Das Ziel sind zügigere Verfahren und eine bessere Abstimmung zwischen wirtschaftlichen und künstlerischen Aspekten. Dafür soll dann auch die bisherige kulturelle Förderung durch meine Behörde von dieser neuen Filmagentur wahrgenommen werden.

Fünftens: Die Förderinstrumente auf Bundes- und Landesebene sollen stärker miteinander verzahnt werden. Hierzu strebe ich eine Verständigung zwischen Bund und Ländern über gemeinsame Grundsätze der Filmförderung an. Wir können hier vorangehen, indem wir eine Mindestförderquote für die Bundesförderung einführen, die Filmprojekten eine erste, relevante Finanzierungsbasis ermöglicht. Auf diese Weise könnte die Filmförderstruktur zwischen Bund und Ländern erheblich verschlankt und die Anzahl der beteiligten Förderungen pro Filmprojekt deutlich reduziert werden. Auf Seiten der Länder ist in diesem Sinne auch ein Pooling der Ressourcen vorstellbar. Ein weiteres Thema zwischen Bund und Ländern muss die Beteiligung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks an der Filmförderung sein. Dafür hat der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk einen besonderen kulturellen Auftrag. Seine Beteiligung an der Produktion von Kinofilmen sollte sichergestellt werden. Er darf aber zum Beispiel durch Auswertungsfenster nicht benachteiligt werden gegenüber der Konkurrenz der Plattformen - und er muss sich der Anforderung stellen, die unabhängige Produktion und deren Rechtebasis zu stärken. Ein drittes Element der verbesserten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist die Nachwuchsförderung, hier sollten wir gemeinsam Debütfilme fokussierter fördern, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium junger deutscher Film.

Sechstens: Wir wollen die Sichtbarkeit deutscher Filme erhöhen. Hierfür sollte aus unserer Sicht insbesondere die Struktur der Verleihunternehmen in Deutschland gestärkt werden. Der deutsche Kinomarkt wird zunehmend von ausländischen Verleihern dominiert, die häufig durch eine Abhängigkeit von Networks und Streamern geprägt sind. Das Ziel ist es, einen robusten Verleihmarkt zu schaffen, wozu übrigens auch das gemeinsame Nachdenken über Sperrfristen zählt: Eine straffere und einfachere Fristenregelung, die vorrangig das Kinofenster sichert und sich danach noch stärker als bisher für individuelle Abreden und Branchenvereinbarungen öffnet, scheint mir hier der richtige Ansatz. Natürlich ist für den Erfolg des deutschen Films auch eine starke Kinolandschaft – insbesondere auch in der Fläche – wichtig. Wir wollen die Kinoförderung stärker automatisieren, um den Kinos mehr Planungssicherheit zu verschaffen und die Förderung zu vereinfachen.

Siebtens: Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind keine Zusätze einer Filmförderung, sondern ihre Voraussetzung. Die Vergabe öffentlicher Mittel beinhaltet auch, dass sich die Empfänger dieser Mittel mit der Realität der Vielfalt unserer Einwanderungsgesellschaft auseinandersetzen und der wichtigen Frage ihrer Gestaltung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch die Förderung der Geschlechtergerechtigkeit ist überfällig, etwa bei den Löhnen und Honoraren in der Filmbranche. Von der Besetzung der entscheidungsrelevanten Gremien bis hin zu Anreizen in den Fördersystemen können Diversität und Geschlechtergerechtigkeit eine Ermöglichung besserer Förderung und erfolgreicherer Filme sein. Gleiches gilt für das Thema der Nachhaltigkeit - und zwar ausdrücklich in allen ihren Dimensionen, soziale Standards und ökologische Nachhaltigkeit müssen hier Hand in Hand gehen. Hier gibt es bereits sehr erfolgreiche Beispiele, die zeigen, wie es gehen kann, wie etwa die mit dem Arbeitskreis Green Shooting entwickelten Standards.

Achtens: Mit dem KulturPass für 18-Jährige führen wir in diesem Jahr eine indirekte Förderung für den Filmbereich ein. Die 200 Euro, die alle jungen Menschen erhalten, die in diesem Jahr 18 Jahre alt werden und in Deutschland leben, können für die unterschiedlichsten Kulturangebote eingesetzt werden. Das Beispiel in Frankreich zeigt, dass davon insbesondere Kinos profitierten.

Entlang dieser Eckpunkte möchte ich nun gemeinsam mit allen Vertreterinnen und Vertretern der Branche, mit den Bundesländern und meinen Kabinettskollegen und -kolleginnen, allen voran Finanzminister Christian Lindner sowie dem Deutschen Bundestag eine umfassende Reform der Filmförderung voranbringen. Ende dieses Jahres wollen wir in das Gesetzgebungsverfahren einsteigen. Erfolgreich wird diese Reform nur sein, wenn wir sie gemeinsam anpacken.

Heute beginnt die Berlinale. Darauf freue ich mich sehr. Sie kann endlich wieder ohne Einschränkungen stattfinden. Ich würde mir wünschen, dass diese Berlinale auch weit über Berlin hinaus Funken sprüht und vielen Menschen Lust macht, Filmkunst in der ganzen Magie eines Kinosaales zu erleben.

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